Das Transparent, auch wenn es technisch nicht mehr der Leuchtschrift des frühen 20. Jahrhunderts entspricht, verrät viel über die Ansichten und Sehnsüchte seiner Initiatoren. Und immer auch über die Zeit, aus der es kommt. Nonverbal – mal präzise, mal ausführlich – lässt es uns die Gedanken jener lesen und lauschen, welche schweigend dahinter, darunter, darüber und manchmal auch daneben stehen.

Auf politischen Demonstrationen entsteht oft ein verdichtetes Meinungsbild. Ideal für Bildberichterstatter, aber auch bereichernd für den Diskurs in einer demokratischen Gesellschaft. Ein Hoch auf die Meinungsfreiheit! Denn ohne sie würde so manche kreative Errungenschaft selbstgebastelter Gedankenblitze niemals ans Tageslicht gelangen. Und dennoch: Befasst man sich mit Transparenten, so entsprechen Gestaltung, Darstellung und Anwendung oft ähnlicher Muster:
Das konkrete Transparent

Kurz und knapp. Inhaltlich präzise, wenn auch argumentativ verkürzt. Hintergrund dieser Aufnahme vom 29. Mai 2015 ist nicht nur das blühende Gestrüpp, sondern auch der Einsatz von Kampfdrohnen, welche das US-Militär mutmaßlich von seiner deutschen Basis aus, nämlich vom idyllischen rheinland-pfälzischen Ramstein-Miesenbach, steuert(e) – quasi direkt hinter dem Gestrüpp. Landschaftlich ein ideales Umfeld für weiße Tauben, möchte man meinen, aber eben auch für konkrete Transparente.
Das ausführliche Transparent

Erklärend im Inhalt, individuell in seiner Form. Trotz aller Bemühungen: Die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Transparent eines prokurdisch-alevitischen Demonstranten in die Tagesschau vom 24. Mai 2014 geschafft hätte, war gering. Unabhängig vom Argumentationsstil. Umso interessanter für berichterstattende Fotografen in Köln, die auf ihrer Website Kurzbildessays schreiben. Denn es ist grundsätzlich festzustellen, dass sich der Initiator schon länger mit seinem Thema befasst und ihm viel daran liegt, darüber zu kommunizieren. Einsamkeit ist dann eben auch Gemeinsamkeit. Hier fühle ich obligatorisch mit.
Das symbolische Transparent

Offensichtlich und selbsterklärend. Während Recep Tayyip Erdogan am 24. Mai 2014 in der Kölner Lanxess-Arena Wahlkampf machte, erteilte ihm auf der anderen Seite des Spielfelds die gegnerische Mannschaft die rote Karte. Sie warfen ihm unsportliches Verhalten vor. Sowohl im Spiel als auch in einer demokratischen Regierung gibt es Regeln. Und keiner kann für immer alleine spielen, oder gar alle politischen Ämter auf ewig innehaben.
Das kreative Transparent

Die Motive der großen Anti-TTIP/CETA-Demonstration vom 10. Oktober 2015 in Berlin waren einfallsreich. Das kreative Transparent fand in der Hauptstadt seinen Platz, die so bunt und vielfältig ist, wie die Informationsträger selbst. Als Synergieeffekt sah man hierbei wohl auch die wasserabweisende Oberfläche: im Falle von Angriffen staatlicher Wasserwerfer oder herbstlichem Starkregen. Aber es war ein schöner Tag. Nichts davon ist eingetroffen. Auch keine transatlantischen Vertragsabkommen.
Das indirekte Transparent

In diesem Beispiel: eine Pressspan-Wand am Kölner Heumarkt. Sie sollte wohl den Kiosk vor Angriffen schützen, als am 22. April 2017 tausende Bürger am gegenüberliegenden Maritim-Hotel den 6. Bundesparteitag der AfD blockierten. Früh morgens versammelten sich einige Dutzend Antifaschisten vor dem indirekten Transparent, an dem sich damals mehrere Pressefotografen ergötzten. Ein mir unbekannter Pressevertreter hatte allerdings nur mich im Fokus. Detektivisch begleitete er mich den ganzen Tag. Ich ließ ihn folglich an meiner fotografischen Erzählung teilhaben. Vorurteilsfrei versteht sich, nur zufällig am rechten Bildrand. Ob ich nun Bestand neurechter Hetzlisten bin, bleibt offen. Seine Fotos, seine Meinung, sein Recht. Ich würde mir allerdings wünschen, auch seine Erzählung veröffentlicht zu sehen. Im Sinne der Meinungsfreiheit und für eine transparente Gesellschaft.
(Fotos aus dem Archiv: Berlin, Ramstein & Köln, ca. 2015)