Schlechte Party’s, gute Filme (2021)

Eine Filmempfehlung und ein paar Gedanken zur Bundestagswahl 2021

Der Wahlkampf beginnt. Die gegenwärtige Regierung offenbart ihr sozialpolitisches Defizit und die Opposition reibt sich die Hände. Besonders natürlich die AfD. Will man wissen, was ihnen die Bundestagswahl bringen könnte, lohnt sich der Klick auf den sehenswerten Dokumentarfilm „Meuthen’s Party“ (hier, oder hier). Inhaltlich eine Blaupause dafür, wie völkisch-nationalistisches Denken als diffuses Partikel vom Wirtshausnebenzimmer in Parlamente schleicht, um letztlich dort mit einem unbestimmten Element explosiv reagieren zu können. Zum Nachteil der Demokratie versteht sich.

Der Regisseur Marc Eberhardt begleitet im Film den damaligen AfD-Landtagskandidaten Dr. Jörg Meuthen bei seinem Wahlkampf 2016 in Baden-Württemberg. Verständnisvoll und sympathisch wirkt der beurlaubte Professor auf seinen Reisen zwischen Bürgerdialogen und Presseterminen. Ein gelungener PR-Coup für eine brave AfD – möchte man meinen. Doch der Schein trügt. Später, bei seiner Antrittsrede im Stuttgarter Landtag, gibt Meuthen in provokanter Rhetorik preis: „Ich bin nicht hier, um brav zu sein!“, womit die bewusste Missverständlichkeit, mit der die AfD politischen Populismus betreibt, deutlich wird.

Damals war „Flüchtlingskrise“. Die AfD triggerte gekonnt die Ängste und Sehnsüchte der Bürger, denen die politische Debatte um Schutzsuchende zu kompliziert wurde. Migranten wurden zum idealen Feindbild, Ängste begründbar und einfache Antworten möglich. Rückblickend dokumentiert der Film das exzellent. Während eines Radiointerviews mit dem Mannheimer Radio Regenbogen rechnet Meuthen im Film die Geschehnisse der Kölner Silvesternacht von 2015 auf die Migrationsentwicklung in Deutschland hoch: „Wenn unter 1.000 einer [Vergewaltiger] ist und ich habe 10.000 da, habe ich schon zehn [Vergewaltiger] und einer reicht, um Schlimmes zu tun […]“. Mit Blick auf alle aktuell Schutzberechtigten in Deutschland ergäbe das nach Meuthens krimineller Gesellschaftsarithmetik hunderte Vergewaltiger, deren kalkulierte Vergewaltigungen aber nie stattfanden. Wehe dem, der damals Angst bekam, als er Radio hörte.

Meuthen selbst agiert seit 2017 im EU-Parlament. Er war und ist bekanntlich aber gar nicht der Scharfmacher in seiner Partei. Diese Aufgabe übernahmen dann Alice Weidel und Alexander Gauland auf Bundesebene. Im Thüringer Landtag erledigt Björn Höcke seitdem diese Aufgabe. Was keinem entgangen ist, denn sie alle haben in vier Jahren einen besorgniserregenden Trend etabliert: die Überschreitung der Grenze des Sagbaren – die natürlich nicht unüberschreitbar ist, solange Sprache ein Prozess bleibt, der von der Gesellschaft angeregt und akzeptiert wird, der keine Minderheiten diffamiert oder gar faschistische Regime verunglimpft. Aber spätestens nach dem rechtsextremistischen Terror in Halle, Hanau und Kassel in den letzten vier Jahren, sind auch weitere Äußerungen anderer AfD-Abgeordneter wohl nur ein Vogelschiss in der Geschichte neurechter Bewegungen in Deutschland.

Auffallend ist auch, dass sich parallel dazu eine laute bürgerliche Minderheit seit Monaten selbstbewusst antidemokratisch, faschistisch oder antisemitisch präsentiert – online wie offline. Ein Grund ist sicherlich die zunehmende Vernetzung rechtsradikaler und rechtsextremer Akteure im Internet, auch im virtuellen Dunstkreis von AfD-Mitgliedern, bestärkt durch den Glauben daran, einer gesellschaftlichen Mehrheit anzugehören, die ihnen die Algorithmen ihrer sozialen Medienportale vorgaukeln. So wird die AfD schnell zum sozialpolitischen Magnet für enttäuschte Demokraten und Sympathisanten der neurechten Szene. Die aufmerksamkeitsökonomische Funktionslogik sozialer Medien passt da nur zu gut zu ihren populistischen und extremen Positionen. Sie bringt Reichweite und schafft Öffentlichkeit.

Heute ist „Corona-Krise“. Seit Monaten haben wir eine Pandemie und die Bundestagswahl 2021 steht vor der Tür. Aber ein Virus dient nur bedingt als Feindbild, es sei denn, man leugnet es, wie anfangs viele in der AfD. Die gezielten Desinformationskampagnen, u.a. angetrieben durch AfD-Mitglieder und durch bürgerjournalistische „alternative Medien“, von denen manche unsachlich und aufdringlich in Regierungsgebäuden gewählte Volksvertreter belästigten, sind nur weitere Indizien für eine sich verändernde rechtextreme Sag- und Machbarkeit in der Politik – eine beängstigende Entwicklung. Klar, die Umsetzung und die Folgen der Pandemie-Maßnahmen sind zurecht kritisierbar. Unsitte, Desinformation und Wissenschaftsleugnung sind aber ein Beweis dafür, den vielschichtigen Diskurs nicht kompetent genug managen zu können und stattdessen einfache Antworten finden zu wollen. Um das aber nicht zugeben zu müssen, braucht es ein neues Feindbild für die anstehende Bundestagswahl 2021, das alle Regierungskritiker mit der AfD eint und die interne Kritik überschattet: die Demokratie selbst. Die Korruptionsaffären innerhalb der Regierung, die enttäuschende Sozial- und Rentenpolitik sowie die schlechten Umfragewerte für die CDU und SPD, dienen der AfD dafür als Argumentationsgrundlage. Dazu kommt die Polarisierung in der Debatte: Die Pandemie-Maßnahmen und die Impfung gegen Covid-19 werden zur politischen Ideologie aufgeblasen, denen man öffentlich scheinbar nur für- oder entgegensprechen darf, womit man sich plötzlich auch politisch positioniert. Ein differenzierterer Blick auf die Pandemie, auf die Maßnahmen und auf deren Folgen wird so zum Tabu für die wissenschaftliche und intellektuelle Auseinandersetzung. Zeitgleich entsteht in AfD-nahen Filterblasen ein radikales Narrativ von einer böswilligen Neuen Weltordnung (NWO) oder einem vom WEF geplanten „Great Reset“ – ein großes gesellschaftliches Planspiel, dem wir alle zum Opfer fallen, solange wir uns nicht gegen die Machenschaften der Bundesregierung wehren würden. In den Worthülsen prominenter Youtube- und Telegram-Politdemagogen finden sich dann schnell die alten antisemitischen Märchen wieder. Auch vom Untergang der völkisch-nationalistischen Tradition und der deutschen Werte (was immer das ist) ist dort die Rede. Die AfD, unabhängig davon, ob sie diese Inhalte teilt oder nicht, profitiert sicherlich von solchen Selbstläufern in ihrem Bundestagswahlkampf 2021. Die gesellschaftliche Verantwortung und die dramatischen Folgen von Verschwörungserzählungen werden von ihr jedoch verantwortungslos ignoriert. Sie sind nützlich, denn es geht um die Stimmen vieler Wähler.

Im Dokumentarfilm „Meuthen’s Party“ erhält man einen Vorgeschmack darauf, wer diese Wähler sind. Er zeigt sie hautnah. Die Gefolgschaft von Herrn Meuthen im Jahre 2016. Die scheinbar besorgten Bürger, wie sie ihm zusprechen, euphorisch zuwinken oder auch nur Selfies mit ihm machen wollen. Viele wollen reden, sich aber meist nur selbst dabei hören. Manche wirken unglaublich unreflektiert, oft alkoholisiert, manchmal unberechenbar. Schlussendlich bereiten sie dem Zuschauer mehr Angst, als Meuthen selbst, der seine Gefolgschaft heilversprechend in ihrer reaktionären Naivität belässt, statt realpolitische Komplexität zu erläutern. Zudem macht er sich über diese Menschen hinterrücks lustig, was der Film auch gut, sensibel und glaubhaft dokumentiert.

Ob Umwelt- oder Klimapolitik, Gendergerechtigkeit oder Migrationspolitik, am Ende ist es immer die Angst vor Veränderung, worauf die Oppositionsarbeit der AfD abzielt. Vieles hat sie aber selbst schon verändert: Immer größer werden die rechtspopulistischen Nebel, immer extremere Ressentiments werden in die Kommentarfelder der sozialen Medien gepustet. Die Gemüter erhitzen sich, sie werden aggressiver, auch im Alltag. Das schafft Intransparenz in Sachthemen sowie Misstrauen in der Gesellschaft. Im Ständchen „Zögernd leise“ (Lied-/Gedichttext von Franz Grillparzer, 1827) geht es um die Sehnsucht zueinander. Bezogen auf die politische Maskerade von Dr. Jörg Meuthen im Jahr 2016, lässt das Lied im Abspann des Dokumentarfilms von Marc Eberhardt viel Interpretationsspielraum. Auch in Bezug auf die gesellschaftliche Veränderung: „Es verstummt dir frohe Weise. Leise, leise. Leise, leise…“. Eberhardt formuliert damit das, was sich in Deutschland seit dem Einzug der AfD in den Bundestag durch ihre rechte Rhetorik und ihre populistische Demagogie in den sozialen Medien verändert hat: nämlich wir. Und wir könnten das sein, was ich eingangs als „unbestimmtes Element“ beschrieben habe.

Zum Film Meuthen’s Party (Regie: Marc Eberhardt, Produktion: Filmakademie Baden-Württemberg, 2017).

Anmerkung: Ich selbst war an dem Film nicht beteiligt, es handelt sich um eine Empfehlung.

(Foto aus dem Archiv: Sticker in Nürnberg, 2021)